Nur wer den Blick hebt,
kann Visionen haben



14.05.2018

Der Michaelsberg ist ein Ort mit 1.000-jähriger Geschichte. Verantwortlich für Öffnung und Präsentation der Kunstsammlung des Katholisch-Sozialen Instituts in dem von meyerschmitzmorkramer gebauten und mehrfach ausgezeichnetem Neubau, war der damalige Kölner Generalvikar und Kunsthistoriker, Dr. Dominik Meiering.
Wie Kunst, Kirche und Architektur kongenial zusammenarbeiten können – dazu sprach er mit Caspar Schmitz-Morkramer im Erzbischöflichen Generalvikariat.

Das Katholisch-Soziale Institut hat sich mit dem Neubau am Michaelsberg bewusst geöffnet und seine Kunstsammlung sichtbar werden lassen. Welchen Dialog soll die Sammlung mit den Besuchern künftig eingehen?

Generalvikar Dr. Dominik Meiering Die Kunstsammlung im alten KSI war ziemlich bunt, ein Ritt durch die Kunstgeschichte der Moderne. Mit dem Umzug haben wir uns entschieden, nur die qualitätsvollen Werke mitzunehmen. Für mich war maßgeblich die Frage danach, ob die Kunst berührt. Gleich ob Kunst oder Architektur – am Anfang steht immer das Berührt-Sein von dem, was ich erfahre. Wenn ich das Kolumba-Museum oder das KSI betrete, hat es eine Wirkung – und darauf kommt es an.

Sie haben sich für einen starken Entwurf des Neubaus entschieden – welchen Stellenwert besitzt die Architektur als Disziplin der Kunst?

Dr. Dominik Meiering Eigentlich den wichtigsten. Architektur und Film, vielleicht noch Musik, sind lebendige und populäre Orte modernen Kunstschaffens. Wenn ich manchmal in die Kunstakademien und in die kunsthistorischen Institute blicke, stelle ich fest, dass die Leute einen Stahlstich nicht mehr von einem Kupferstich unterscheiden können, eine Skulptur nicht von einem Relief. Das fundamentalste Wissen geht leider mehr und mehr verloren. Wenn jedoch Architektur betreten wird, können alle mitreden.

Caspar Schmitz-Morkramer Das macht die Architektur aus. Zugleich ist es auch die große Gefahr. Es kann nicht nur jeder mitreden, es will auch jeder mitreden. Das ist in einer demokratiegläubigen Zeit wie dieser die Gefahr für die Architektur: beliebig zu werden, weil sie jedem gefallen muss.

Kann Architektur auch selbst in einen Dialog treten?

Caspar Schmitz-Morkramer Das ist das Besondere am Michaelsberg, dass wir mit der Architektur einen Rahmen vorgeben, in dem Kunst gezeigt werden kann. Was mich dort fasziniert, ist die Art, wie Kunst gehängt ist, dass sie in einen Dialog mit dem Raum und der Architektur tritt. Deswegen hat das Werk von Babak Saed „ICHBINDAS“, das sich bei Ankunft im Treppenhaus befindet, eine große Bedeutung für uns, da wir uns bei der Planung genau überlegt haben, dass man über das Treppenhaus eine Transzendenz erfährt, den Alltag hinter sich lässt und auf dem Michaelsberg ankommt.

Darf Kunst im Katholisch-Sozialen Institut Humor haben?

Caspar Schmitz-Morkramer Unbedingt – wie ja das Beispiel mit Beuys – wer nicht denken will, fliegt raus! – zeigt. Kunst entsteht als Reflexion auf die Gesellschaft. Insofern ist der Michaelsberg ein spannendes Beispiel, wie Kunst und Architektur zusammengehen können. Es ist schade, dass die Kunst am und im Bau heute oftmals eine geringe Rolle spielt und häufig nur als Dekoration dient.

Dr. Dominik Meiering … und dabei alles verdirbt. Wenn man in die Kunstgeschichte schaut, sind die großen Werke der Architektur nie allein nur durch Architekten entstanden. Am Bau einer barocken Kirche wirkten Architekten, Maler, Stuckateure, viele unterschiedliche Künstler, miteinander. Heutzutage haben wir nicht selten Architekten, die oft das immer Gleiche entwerfen, zum Beispiel Altäre praktisch und quadratisch. Ich sage, mit dieser Aufgabe müssen wir einen Bildhauer betrauen. Die Antwort lautet, es gebe keine mehr. Entsprechend treffen wir nicht selten auf seelenlose Räume, weil keine menschliche Hand mehr etwas angefasst, geformt hat.

Ist die Verbindung von Kunst und Architektur heute in Vergessenheit geraten?

Caspar Schmitz-Morkramer Früher war die Verbindung von Architektur und Kunst eine Selbstverständlichkeit. Heute ist das Bewusstsein ein anderes. Das Problem ist: Die Moderne war nicht so, wie sie heute oftmals vermittelt wird. Das Bauhaus lehrte die Verbindung von Kunst, Architektur, Handwerk, Musik – das hat im Einklang funktioniert. Das Problem ist heute, dass wir den Unterschied zwischen einfach und banal oft nicht mehr erkennen.

Dr. Dominik Meiering Es ist ein falscher Reflex auf die einstige Idee von Adolf Loos – das Entfernen des Dekorativen in der Architektur. Der Kirchenbau von einem Architekten und Kirchenbauer der Nachkriegszeit, Rudolf Schwarz beispielsweise, funktioniert nur, wenn man dort eine Liturgie abhält. Im Kolumba-Museum hat das Lesezimmer mit seinen einfachen Holzpaneelen eine besondere Stimmung. Hier war es nicht Zumthor selbst, der es gebaut hat, sondern er hat jemanden dazugeholt. Wir brauchen wieder das Kongeniale.

Gute Kunst muss berühren, sehen Sie das für die Architektur genauso?

Dr. Dominik Meiering Ja, hundertprozentig. Wir sichten gerade, welche Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg im Erzbistum Köln gebaut wurden. Da sind Bauten, die sind berührend, und es macht Freude, in ihnen die Liturgie zu feiern. Andere sind Funktionsgebäude, mit einer theologischen oder architektonischen Idee, die aber keinen erreicht.
Oder – um noch einmal das Beispiel von Kolumba zu bemühen: Das gleiche Ausstellungskonzept ist schon zehn Jahre zuvor an einem anderen Kölner Standort durchgeführt worden, allerdings mit weit weniger Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Jetzt kommen die Leute durch die Zumthor-Architektur in Scharen. Entweder schaffen wir es, auf so einem Level weiterzubauen, oder wir verlieren unsere Identifikationsorte.

Caspar Schmitz-Morkramer Der Michaelsberg hat eine 1.000-jährige Geschichte. Man könnte jetzt vor Ehrfurcht erstarren und sagen, da darf nichts mehr passieren. Aber das Leben geht weiter. Das Wichtige ist, dass es auch in der Architektur weitergeht. Hier haben wir es durch den Neubau erreicht, dem alten Kloster eine neue Nutzung zuzuführen. Es ist die Nutzung, die es in die Öffentlichkeit bringt. Wenn Kirche heute zeitgemäß sein will, muss sie sich mit moderner Architektur und Kunst auseinandersetzen.

Wie wird die Kunst heute auf dem Michaelsberg wahrgenommen?

Dr. Dominik Meiering Positiv. Es ist ein Fortschritt, weil sie nicht pädagogisieren will, sondern es um eine Erstentdeckung von Kunst geht. Und weil hier Kunst und Raum gut harmonieren.

Caspar Schmitz-Morkramer Der Michaelsberg lädt zur Konzentration ein. Das bedeutet: Räume können frei bleiben, damit ich mich mit den Werken auseinandersetzen kann. Gleichzeitig wirkt der historische Bestand des Hauses, besonders der Kreuzgang mit seiner wunderbaren Glaskunst, für sich. Auf dem Michaelsberg lädt die Kunst zum Spaziergang ein.

Dr. Dominik Meiering Es sind besondere architektonische Orte. Das Lichtkreuz von Ludger Hinse beispielsweise hängt im Treppenhaus gut, denn es ist die Kreuzung. Dieses Werk macht an dieser Stelle deutlich, worum es geht: den Blick heben. Alle rennen heute mit dem Handy durch die Straßen und schauen nur nach unten. Vor einiger Zeit sprayte ein Künstler in Köln den Satz „den Blick heben“ auf den Boden. Folgte man dieser Aufforderung, hatte man wunderbare Aussichten, die man sonst nicht wahrnahm. Das ist die Herausforderung: stehenbleiben und den Blick heben. Nur wer ihn hebt, kann auch Visionen und Perspektiven haben.


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