Die Architektur der Städte:
Spiegelbild gesellschaftlichen Wandels



24.06.2015

In den deutschen Städten sind Singlehaushalte in der großen Mehrheit. Unsere Gesellschaft wird zudem nicht nur immer älter, sondern wandelt sich strukturell grundlegend. Wie reagiert die Architektur auf diesen Wandel?

Laut Statistischem Bundesamt liegt die Anzahl der Singlehaushalte in deutschen Städten bei 42%. In Düsseldorf und Köln stieg der Anteil laut Rheinischer Post sogar auf über 50%. Erstaunlich dabei ist die Altersverteilung: Die Mehrheit der Alleinwohnenden Menschen sind zwischen 45 und 65 Jahre alt. Dieser Befund ist besonders für mich als Architekt überraschend wie interessant.

Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die alle damit zusammenhängen, wie die Architektur auf diese Entwicklung reagieren kann: Was sind die Ansprüche der jeweiligen Altersgruppe der Alleinwohnenden an ihre Wohnungen und ihr Lebensumfeld? Entspricht der Häuser- bzw. Wohnungsbestand den Bedürfnissen der heutigen und der kommenden Generation? Lassen sich die Wohnungen ihren Bedürfnissen anpassen, oder gingen die Architekten von damals von völlig anderen Lebensmodellen aus? Wie bleibt Wohnraum in Städten noch bezahlbar?

Die so genannte Mietpreisbremse ist vielmehr ein Teil symbolischer Politik als praktisch anwendbares Recht. Sie greift nämlich nur in sehr wenigen Städten und hilft der Mehrheit der tatsächlich Betroffenen nicht. Umso mehr sind architektonische Ideen und Konzepte gefragt, wenn es um die Zukunft des Wohnens in den Städten geht. Der Zusammensetzung der Gesellschaft in Städten stehen gravierende Veränderungen bevor. Bezahlbarer Wohnraum, der zudem den gewandelten Bedürfnissen der Menschen entspricht, wird bereits jetzt händeringend gesucht. Unter dem Deckmantel günstiger Studentenwohnungen entstehen Mikroapartments, die jedoch oft von älteren Menschen genutzt werden.

„Der Traum vom flexiblen Wohnen“

Die Anpassungsfähigkeit von Wohngebäuden ist nicht so stark ausgeprägt wie bei Bürogebäuden. Bei Letzteren können je nach Bedarf Wände eingezogen oder abgerissen werden. Die räumlichen Gegebenheiten werden den Bedürfnissen und dem gängigen Verständnis von Arbeit angepasst. Im Wohnungsbau sind allein schon die Eigentumsverhältnisse viel komplexer. Ein Gebäude hat oft nicht nur einen einzigen Eigentümer, sondern besteht aus Eigentums- und Mietwohnungen. Die Änderung von Teilungsverträgen und Grundbüchern bringen einen großen verwaltungstechnischen Aufwand mit sich.

Aber auch von konstruktiver Seite sind der freien Neugestaltung in Wohngebäuden Grenzen gesetzt. Tragende Wände sind aufgrund von statischen und brandschutztechnischen Anforderungen so geplant, dass sich bestimmte Grundrisse ergeben. Auch dieser Umstand verhindert zum großen Teil eine einfache Neuaufteilung von Wohnungen.

„Neue Trends im Wohnungsbau“

Wenn sich der Bestand an Wohngebäuden nicht an die Bedürfnisse anpassen lässt, entschließen sich inzwischen viele dafür, neu zu bauen. In der Stadt zu bauen ist jedoch nicht ganz so einfach wie auf dem Land. Der Bau von Mehrfamilienhäusern in der Stadt war lange Zeit eine Domäne der Bauträger. Hier gibt es jedoch seit einigen Jahren einen neuen Trend, der es Privatpersonen ermöglicht, ebenfalls Bauherr zu werden. Menschen schließen sich in sogenannten Baugruppen zusammen und bilden zusammen eine GbR. Diese Rechtsform ermöglicht es ihnen, als Bauherr gegenüber Firmen aufzutreten. Diese neue Form des Bauens verhilft den Menschen nicht nur zu günstigerem Wohnungseigentum.

Anders als Bauträger fokussieren sich Baugruppen auf ganz anderen Aspekte des Zusammenlebens. In Köln haben beispielsweise rund 20 Einzelpersonen und Familien auf dem ehemaligen Fluggelände gemeinsam als Baugruppe Wohnungseigentum gebaut. Solche Gemeinschaften definieren für sich ganz andere Raumprogramme und gehen sehr viel großzügiger mit Flächen um als Investoren. Sie schaffen Spielflächen und Flächen für die Gemeinschaft, so dass Rückzugsorte entstehen.

„Gästezimmer
für alle“

Auch das Le Flair in Düsseldorf ist ein gelungenes Beispiel für einen neuen Umgang mit Wohnungsbau. Die Besonderheit des Le Flair: Für alle Bewohner gibt es eine zentrale Anlaufstelle. In diesem Servicepoint sitzt ein Rezeptionist, bei dem Dienstleistungen gebucht werden können. Hier können ebenso Hemden zum Bügeln abgegeben werden, wie sich ein Gemeinschaftsraum für den nächsten Geburtstag buchen lässt.

Ein besonderer Clou sind die für alle zur Verfügung stehenden Gästezimmer. Wohneigentum ist relativ nahe an den aktuellen Bedürfnissen ausgerichtet und eher am Limit der finanziellen Möglichkeiten geplant. Viele Extrazimmer für eventuelle Besuche sind im Regelfall nicht einkalkuliert. Die Gästezimmer sind da eine hervorragende Alternative, die dem Zeitgeist entspricht.

„Neue Formen des Zusammenlebens“

Neben neuen Bauformen entstehen neue Formen des Zusammenlebens. Alters-WGs und Mehrgenerationen-Gemeinschaften sind wieder im Kommen. Diese neuen Formen des Gemeinschaftlichen nutzen die in Vergessenheit geratenen Vorteile von Großfamilien. Wenn Oma und Opa nur eine Etage darüber wohnen, ist es viel einfacher, im Arbeitsleben flexibel zu bleiben, ohne auf Familie verzichten zu müssen.

Auch das Konzept der Wohnungsbaugenossenschaften erlebt ein Revival. Hierbei handelt es sich ebenfalls um Gemeinschaften, die ihren Mitgliedern günstigen Wohnraum zusichern. Ursprünglich wurden diese Genossenschaften in einer ähnlichen Situation wie heute gegründet. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Lage in den rasch wachsenden Städten immer schwieriger. Die Zusammenschlüsse in Genossenschaften erlaubten den Menschen damals wie heute die notwendige Flexibilität.

„Die neue Architektur der Städte“

Während die Lebensverhältnisse beständig im Wandel sind, ändern sich die Wohnverhältnisse nicht mit derselben Geschwindigkeit. Faktoren, die von außen hinzukommen, wenn etwa in den Städten das Mietpreisniveau kräftig anzieht, verstärken den Effekt. Wohnungsbaugenossenschaften, Baugemeinschaften oder Umnutzung von Bürogebäuden bieten mögliche Auswege an.

Klar ist, dass die Gesellschaft in Städten sich grundlegend verändert. Dabei dürfen die Sehnsüchte der Menschen nicht vergessen werden. Bei der Gestaltung von neuem Wohn- und Lebensraum müssen auch Fluchtorte und Sehnsuchtsorte der Stadtmenschen geschaffen bzw. erhalten werden. Parks und öffentliche Plätze spielen eine ebenso wichtige Rolle wie bezahlbarer Wohnraum und flexible Wohnkonzepte. Besonders Letztere ermöglichen es, auch auf kommende Veränderungen der Stadtgesellschaften schnell reagieren zu können.


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