Die neue Arbeitswelt
und ihr Einfluss auf die Architektur



05.05.2015

Die Art zu Arbeiten verändert sich grundlegend. Früher spiegelten sich hierarchische Strukturen in strengen Vertikalen und abgetrennten Büroräumen. Die heutige Arbeitswelt stellt ganz neue Anforderungen an die Architektur.

Früher zählte die Größe: Je größer ein Büroraum eines Angestellten war, desto wichtiger war er. Im Allgemeinen konnte man das an der Anzahl der Ausbauraster, die ein Mitarbeiterbüro hatte, messen. Sachbearbeiter: 2 Achsen, Abteilungsleiter: 3 Achsen, Direktor: 4 Achsen, Vorstand: 5 oder 6 Achsen. So wusste man beim Betreten des Büros gleich, wo man bzw. bei wem man war.

Die Machtstruktur von Unternehmen funktionierte nach strengen Hierarchien und das zeigte nicht zuletzt die Ausstattung seines Arbeitsplatzes. Das Video “Transformation of the Desk” macht jedoch deutlich, wie im Lauf der letzten Jahrzehnte der Schreibtisch immer leerer und damit überflüssiger wurde. Mit der Digitalisierung und der Transformation der Arbeitswelt wurde das Büro als Einzelraum weniger wichtig. Der eigene Schreibtisch kann zwar noch als eine “kleine Heimat” fungieren – unbedingt notwendig ist er nicht mehr.

„Die Bedürfnisse der Mitarbeiter werden wichtiger“

Wie schnell solche Veränderungen in einem Unternehmen vonstatten gehen, hängt dabei von der Aufgeschlossenheit der Geschäftsführung, den Mitarbeitern und nicht zuletzt vom Betriebsrat ab. Es sind die Mitarbeiter, die bei dem Wandel der Arbeitswelt im Zentrum stehen. Ihre Bedürfnisse und Wünsche sollten bei der Gestaltung ihres Arbeitsumfelds berücksichtigt werden. Denn je wohler sie sich bei der Ausübung ihrer täglichen Arbeit fühlen, desto zufriedener und produktiver sind sie. Wandel lässt sich nicht von oben befehlen, sondern funktioniert nur, wenn die Mitarbeiter eingebunden werden und die Architektur auf sie reagieren kann.

Zum Video „Transformation of the Desk“

„Bring your own device, lautet die Devise“

In Deutschland sind Ausgestaltung und Ausstattung des Arbeitsplatzes sehr stark reglementiert. Die “Arbeitsstättenverordnung” legt fest, wie groß die Fläche um einen Arbeitsplatz herum sein muss und wie viel Licht es geben muss; sie regelt Art, Beschaffenheit und ggf. Kennzeichnung von Böden, Wänden und Decken. Schließlich gibt es Vorgaben für Raumtemperatur, Lüftung und Sitzgelegenheiten. Die derzeitige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles brachte nun in Zeiten des gestiegenen Anteils an Homeoffice-Tätigkeiten die Idee ins Gespräch, diese Verordnung auch auf dem Heimarbeitsplatz auszuweiten. So soll sichergestellt werden, dass dort dieselben Arbeitsbedingungen herrschen. Selten zuvor wurde so deutlich, wie sehr diese Verordnung aus einem völlig anderen Zeitalter stammt. In unserer heutigen Zeit hat sie nichts mehr verloren. Sie im privaten Umfeld anzuwenden scheint gar absurd und weltfremd.

Heute ist Arbeit oft unabhängig von einem Büroraum, einem immer gleichen Schreibtisch, einem festen Gebäude oder immer fixen Arbeitszeiten. „Bring your own device“ lautet heute die Devise. Damit lassen sich die ersten Mails im Zug beantworten, Dokumente abends auf der Couch im Liegen lesen oder im Café und im Freien bearbeiten. Der Luxus, den wir durch die Digitalisierung nutzen können, ist, dass wir an verschiedensten Orten zu unterschiedlichsten Zeiten arbeiten können. Auf keinen Fall möchte ich aber, dass Frau Nahles für 500 Lux über meiner Couch im Wohnzimmer sorgt.

„Die Architektur verkörpert die neue Arbeitswelt“

Damit ändern sich die Anforderungen an Bürogebäude. Diese sind nach wie vor wichtig und für das Arbeitsleben unentbehrlich. Nur ihre Funktion veränderte sich mit der Zeit und damit ihre Gestaltung. Bürogebäude müssen heute mit der Flexibilität der Arbeitswelt umzugehen wissen. Sie sind Orte der Begegnung und des Gesprächs. Mit der Schaffung von Interaktions- und Begegnungsräumen  werden diese Entwicklungen architektonisch beantwortet. Während die hohen, vertikalen Bürotürme die alten Hierarchien als Gebäude abbildeten, geht es heute um Flächen. Sichtbar wird dies auch bei Hochhausprojekten an der Aufwertung der Sockelzonen. Diese gewinnen hinsichtlich ihrer Ausgestaltung und ihrer Ausdehnung an Bedeutung.

Bei unseren Standortauswertungen konnten wir neben der Aufwertung der Sockelzone eine zweite Tendenz ausmachen: Neben dem Aussehen und der Ausstattung der Gebäude spielt die Umwelt der Standorte und die direkte Nachbarschaft eine wichtigere Rolle denn je. Entscheidend ist die Frage, ob dort Plätze, Parks oder andere Orte der Begegnung und Kommunikation sind.

„Der Arbeitsplatz als Ort der Identifikation“

Neben den praktischen Erwägungen dieser Art sind solche der Ästhetik nicht aus dem Auge zu verlieren. Architektur dient den Unternehmen nach wie vor als wichtiges Identifikationsmerkmal. Im Arbeitsumfeld spiegeln sich die Philosophie und die vertretenen Werte eines Unternehmens wider. Ein repräsentatives Äußeres verweist auf den Erfolg, das Prestige und den Anspruch eines Konzerns. Ein Nullemissionsgebäude symbolisiert das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Verantwortung. In von Licht durchfluteten Räumen lässt es sich nicht nur gut arbeiten, sie hinterlassen auch den Eindruck von Transparenz und guter Sichtbarkeit. Die Möglichkeit, Fenster zu öffnen und eine gute Belüftung dienen nicht nur dem guten Arbeitsklima, sie stellen auch eine Verbindung zur Außenwelt her.

„Immobilien sind das Gegenteil von Mobilität“

Immobilien sind – schon rein dem Wort nach – das Gegenteil von Mobilität. Sie sind immobil, stehen immer am selben Ort und sind auf Dauer angelegt. In einer Zeit, in der Wandel sich immer schneller vollzieht, Unternehmen und Mitarbeiter flexibel sein müssen, erscheint dies unzeitgemäß. Bei der Auswahl und Konzeption von Firmensitzen ist deswegen ein neuer Trend erkennbar. Während früher Firmen für sich selbst bauten, gibt es heute eindeutig eine Abkehr von dieser Herangehensweise. Viel stärker verbreitet sind heute Mietverhältnisse, die auf 10 Jahre begrenzt sind. Heute und in Zukunft versucht Architektur deswegen Raum- und Gebäudekonzepte zu schaffen, die auch nach 10 Jahren noch dem herrschenden Begriff von Arbeit entsprechen oder entsprechend angepasst werden können.

„Der Stil der Zukunft: Die Funktionalität im Zentrum“

Dieser Wandel hat auch stilistische Folgen. Dominierten früher repräsentative Bauten, die die Vertikale betonten, steht heute Funktionalität im Zentrum. Sie verkörpert eine neue Bescheidenheit und konzentriert sich auf den arbeitenden Menschen und die Pflege seiner Netzwerke. Dieser Stilwechsel markiert einen umfassenden Paradigmenwechsel: Die strengen Hierarchien der alten Schule werden zunehmend abgelöst durch flexible Arbeitswelten, die auf Kommunikation und Kooperation ausgerichtet sind. Die gute Nachricht ist: Der Mensch steht mehr denn je im Mittelpunkt.

Diesen Artikel finden Sie auch bei Huffington Post.


Weitere Artikel