Micro-Apartments:
Wie klein können wir wohnen?



13.11.2015

Dem antiken Philosophen Diogenes von Sinope nach sind wir mit weniger glücklicher. Heute leben wir in einer Zeit, in der diese Philosophie des Minimalismus sehr gut passt. Wie gut lässt sie sich auf die Wohnarchitektur anwenden?

Was brauchen wir zu einem glücklichen Leben? Der antike Philosoph Diogenes von Sinope, der angeblich in einer Tonne wohnte, fand eine ziemlich radikale Antwort auf diese Frage: Je weniger Bedürfnisse wir uns selbst gestatten, desto glücklicher und zufriedener sind wir im Leben. Bedürfnisse bedeuteten für Diogenes Abhängigkeit. Die Reduktion auf das Wesentliche umfasste für den Philosophen ausschließlich die fünf elementaren Bedürfnisse: Essen, Trinken, Sexualität, bekleidet sein und Wohnen. Alles selbstverständlich nur in einem sehr selbstgenügsamen Maß.

Heute leben wir in einer Zeit, in die diese Philosophie des Minimalismus sehr gut passt. Aus ganz unterschiedlichen Beweggründen erleben wir in sehr vielen Lebensbereichen diese Form des Reduktionismus. Warum ein Auto besitzen, wenn ich Car-Sharing nutze? Viele Menschen verzichten heute zudem bewusst auf Fleisch und tierische Produkte.

Auch neue Technologien und Geräte zeichnen sich teilweise dadurch aus, dass sie reduktionistisch sind. Das neue MacBook von Apple hat nur eine einzige Schnittstelle und Kameras von Leica haben viel weniger Funktionen als die Konkurrenz. Schließlich finden wir in der Architektur den Trend der Micro-Apartments – sie haben allerdings kaum etwas mit der Tonne gemeinsam, in der Diogenes wohnte.

„Die Reduktion auf das Wesentliche in einer immer komplexer werdenden Welt“

Neben ganz praktischen Erwägungen hat diese Sehnsucht nach Einfachheit tiefgehende Ursachen in unserer Zeit. Die Welt und unser alltägliches Leben waren einerseits noch nie so komfortabel und gleichzeitig auch noch nie so kompliziert. Wissen ist jederzeit in einer Menge verfügbar, dass es schwierig ist, die große Fülle zu verarbeiten und einzuordnen. Technik, die einfach funktioniert, ist da eine willkommene Abwechslung. Wohnungen, deren Raumangebot übersichtlich ist, ebenso. Endlich etwas, worüber ich mir keine Gedanken zu machen brauche.

Ein begrenzter Raum verlangt zwar nach smarten Lösungen, befreit mich aber auch von Sorgen. Große Wohnungen kosten Zeit, Energie und Geld. Die großen Flächen müssen beheizt, gekühlt und beleuchtet werden, viele Zimmer müssen mit vielen Möbeln ausgestattet werden. Wenn ich in einem Micro-Apartment wohne, brauche ich mir über viele Dinge keine Gedanken mehr zu machen. Ihre geringe Größe machen Micro-Aparments aber auch für Stadtplaner zu einem wahren Traum.

„Micro-Apartments und die Entwicklung der Städte“

Einer der Megatrends des kommenden Jahrhunderts ist die Urbanisierung. In wenigen Jahrzehnten wird über die Hälfte der Menschheit in Städten wohnen. In Megacitys leben viele Millionen von Menschen. Das Problem: Raum ist keine nachwachsende Ressource und ist schon heute an vielen Orten knapp. Die Folge sind steigende Mietpreise. Die ersten Micro-Apartments entstanden in den Städten Asiens, dann in Amerika und nun auch in vielen Städten Europas.

Der Zuzug in Städte ist schon heute so groß, dass Stadtentwickler kaum mit dem hohen Tempo Schritt halten können. Migration und die Flüchtlingskrise verstärken das Problem, so dass die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum weiter steigt. Micro-Apartments sind besonders deswegen eine elegante Lösung für diese Herausforderungen, weil sie, sofern sie modular aufgebaut sind, sehr kurze Bauzeiten ermöglichen.

„Demografischer und gesellschaftlicher Wandel als weitere Ursachen für den Trend“

Es ziehen jedoch nicht nur immer mehr Menschen in die Städte, ihre Lebensgewohnheiten ändern sich. Noch vor wenigen Jahrzehnten galt die Familie als die Daseinsform schlechthin. Dieses Ideal löst sich zunehmend auf. In vielen Regionen in Deutschland sind bereits heute die Single-Haushalte in der großen Mehrheit. Die Tatsache, dass viele Berufe eine hohe Bereitschaft zur Mobilität erfordern, macht diese Form des Wohnens zusätzlich interessant.

Diese gesellschaftlichen Änderungen gehen einher mit demografischen Veränderungen. Die Weltbevölkerung wächst – aber nicht deswegen, weil immer mehr Kinder geboren werden, sondern weil die Menschen immer älter werden. Auch das hat eine stärkere Nachfrage nach Micro-Apartments zur Folge. Denn Single-Haushalte sind kein Phänomen, das nur unter jungen Menschen verbreitet ist.

Oft überlebt ein Partner den anderen und benötigt allein nicht mehr viel Raum. Da diese Lebensphase immer länger wird und die Menschen zugleich immer fitter sind, werden auch Trennungen im Alter häufiger. Ich finde, dass man in dem sehr bewegenden Film von Andreas Dresen Wolke 9 sehr schön sehen kann, wie bewegt das Leben auch im hohen Alter noch ist.

„Das Ende der strikten Trennung von Bürowelten und Wohnwelten“

Wie stark sich nahezu alle Lebensbereiche innerhalb der letzten Jahrzehnte verändert haben, fällt mir selbst am stärksten auf, wenn ich mir vor Augen führe, wie mein erster Arbeitsplatz ausgesehen hat. Ich finde mich sehr in dem Video wieder, das die Transformation des Schreibtisches zeigt:

Die unzähligen Dinge und Geräte, die früher in Büroräumen waren – Fax, Drucker, Monitor, Rechner, Tastatur, Maus, Telefon, Kalender, Adressbuch, Aktenschrank, Bilder, etc. – all diese Dinge und Funktionen sind heute in einem einzigen Gerät integriert. Ein Smartphone, ein Tablet oder ein Notebook erfüllt heute die meisten Anforderungen, die für die tägliche Arbeit nötig sind – der Büroraum im traditionellen Sinne hat sich selbst überlebt. Aus diesem Grund vermischen sich Arbeitswelten und Wohnwelten immer stärker.

Zusammenhängende Micro-Apartment-Komplexe wie der Campus Corner in Mülheim vereinen sehr viele Vorteile. Durch die Auslagerung von Gemeinschaftsflächen, kann der Wohnraum kompakt und günstig gehalten werden. Lernen, Arbeiten und das Erleben von Gemeinschaft ist im direkten Wohnumfeld möglich und wird gefördert. Auf den Gemeinschaftsflächen ist noch weit mehr darstellbar: Von Urban Gardening über Fitness bis hin zur Lounge findet dort alles seinen Platz… und darüber hinaus eine schöne Form.

„Die Ästhetik des Minimalismus“

Als Architekt ist mir ein Aspekt bei der Frage „Wie klein kann man wohnen?“ besonders wichtig: Die Ästhetik. Dieser Aspekt ist der bei Planung und Ausführung von Micro-Apartment-Konzepten wichtiger als je zuvor. Denn je kleiner das Raumangebot in den einzelnen Wohnungen ist, desto stärker bin ich als Bewohner mit ästhetischen und funktionalen Mängeln konfrontiert. Die Dinge, die mich umgeben, der Raum, in dem ich mich befinde – all das spielt für mein Wohlbefinden eine enorm große Rolle. Finde ich die Wohnung, in der ich wohne, nicht schön, ist darin zu wenig Licht, ist sie mit Möbeln ausgestattet, die mir nicht gefallen – all das sind Faktoren, die belasten und im schlimmsten Fall krank machen können.

Micro-Apartments werden hauptsächlich vor dem Hintergrund ihrer Vorteile bezüglich ihrer Größe und ihres praktischen Nutzens besprochen. Ich bin davon überzeugt, dass der Erfolg dieser Form des Bauens und Wohnens auch davon abhängen wird, inwiefern es gelingt, ästhetisch überzeugende minimalistische Konzepte zu entwerfen.


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