Auf einer Ebene: 
Über den Arbeitsplatz von morgen



15.12.2016

Das polis-magazin hat sich in seiner Schwerpunktausgabe „WORK“, 03/2016 mit der Frage beschäftigt, warum Arbeitsplätze als inspirierende und anregende Räume gestaltet werden sollten und welche Aspekte zur Gestaltung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze beitragen. Wie sieht der Arbeitsplatz von morgen aus und welchen Einfluss hat das amerikanische Vorbild? Diese Frage stand auch in meinem Interview im Vordergrund.

(polis) Es zeichnet sich ab, dass sich Arbeitswelten auch in den nächsten Jahren weiter wandeln werden. Klassische Bürotürme scheinen oft kaum noch die Bedürfnisse von Arbeitnehmern erfüllen zu können. Wie dürfen wir uns den Arbeitsplatz der Zukunft denn stattdessen vorstellen?

(Caspar Schmitz-Morkramer) Ich denke, es lässt sich nicht per se sagen, dass der Büroturm ausgedient hat. Der Büroturm wird künftig lediglich als Prestigeobjekt ausgedient haben. Dennoch glaube ich, dass wir auch in den nächsten Jahren eine städtische Verdichtung in Form von Türmen erleben werden. Daneben wächst derzeit eine andere Art von Büroimmobilie – der Campus als Arbeitsplatz. Bürotürme sind für größere Firmen insofern nachteilig, als sich Abteilungen auf mehreren Ebenen verteilen müssen. Viele Unternehmen möchten ihre Mitarbeiter auf einer Ebene unterbringen. An dieser Stelle kann der Büroturm nicht mehr mithalten. In den hochpreisigen zentralen Innenstadtlagen funktioniert er zwar nach wie vor gut, trotzdem suchen viele Firmen mittlerweile nach ganz anderen Standorten als dem Central Business District (CBD), und zwar nach solchen, die früher weniger für Büronutzungen geeignet waren. Das können zum Beispiel konvertierte Flächen in Stadtrandlagen sein. Sofern sich Firmen für diese Lagen entscheiden, ist es wichtig, ihnen dort auch eine andere Arbeitsplatzqualität zu bieten. Diese spiegelt sich im Arbeiten in der Fläche wider und inkludiert neben Freizeitangeboten und Gastronomie auch Wohnangebote in unmittelbarer Nähe.

Der Arbeitsplatz soll also um weitere (Freizeit- und Wohn-)Nutzungen ergänzt werden. Dadurch verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben. Ist dieser Prozess auch kritisch zu betrachten? 

Lange Zeit dominierte der Trend, das Home-Office als ultimative Lösung anzusehen. Später wurde festgestellt, dass es zwar als Ergänzung gut ist, aber nicht als Fulltime-Programm. Es gibt auch im Arbeitsalltag nichts Wichtigeres als den persönlichen Austausch.

Positiv ist, dass der Arbeitsplatz und seine Gestaltung eine andere Qualität bekommt. Auch die Abkehr von der etablierten Nine-to-five-Mentalität und den Arbeitsplatz als etwas anzusehen, das auch Spaß machen kann, ist neu und gut.  Die Generation Y hat mittlerweile ein ganz anderes Arbeitsverständnis: Es wird nach Sinnhaftigkeit in der Arbeit gesucht und nicht nur nach dem Job mit dem besten Einkommen. Von daher ist es gut, dass am Arbeitsplatz auch zusätzliche Angebote existieren. Und hierbei handelt es sich nicht nur um Freizeitangebote, wie Sportmöglichkeiten am oder in direkter Nähe zum Arbeitsplatz. Viele Firmen bieten mittlerweile zum Beispiel KiTas an, um jungen Eltern den Wiedereinstieg in den Job zu erleichtern. Die herkömmliche Kantine erlebt eine Renaissance: Sie wandelt sich in vielen Unternehmen zum Restaurant oder zu einer Kaffeelounge. Freizeitangebote sind in diesem Kontext eine sinnvolle Ergänzung.

Könnte es denn nicht zu einem Problem werden, wenn Mitarbeiter sich an ihrem Arbeitsplatz aufgrund des tollen Gesamtpaketes zu wohl fühlen?

Der Gedanke ist nachvollziehbar. Viele Magazine präsentieren Arbeitsplätze, die teilweise aussehen wie Erwachsenenspielplätze. Mich stört auch die Berichterstattung: Die Konzentration liegt in vielen Fällen zu stark auf der Tischtennisplatte anstatt auf dem Schreibtisch mit dem Computer. Mich aber interessiert genau dieser Schreibtisch, der Ort, an dem ich arbeite. Die Freizeit- und Wohlfühlangebote dürfen nicht über dem eigentlichen Arbeitsplatz stehen.

Sie sind 2014 nach Kalifornien gereist und haben sich  dort die innovativen Arbeitswelten im Silicon Valley und Silicon Beach genauer anzusehen. Welche Erkenntnisse haben Sie mitgebracht?

Ich habe diese Reise unternommen, weil wir immer wieder hören, dass Menschen so arbeiten wollen wie bei Google. Ich wollte die Faszination für die  Google-Welt verstehen und zur Quelle ihres Ursprungs reisen – in das Silicon Valley. Vor Ort habe ich mir verschiedenste Unternehmen angesehen: große Firmen wie Google und Facebook, aber auch Firmen wie Pinterest und Airbnb. Ich konnte dort viele Eindrücke sammeln, wie diese Firmen eigentlich denken. Klassische Bürotürme wie das Empire State Building, das Chrysler Building oder das Rockefeller Building demonstrieren in gewisser Weise immer eine Art Machtanspruch. Sieht man sich jedoch an wie Frank Gehry für Facebook gebaut hat, hat das mit Kraftstrotzen nichts mehr gemein. Das Haus an sich ist nicht einmal zu sehen.

Genau das ist ein ganz essenzieller Punkt: Die Außenrepräsentanz hat für Firmen im Valley an Bedeutung verloren. Sie wollen sich nicht mehr ihren Kunden öffnen. Der Kontakt zu den Kunden passiert online, insofern wird großen, imposanten Eingangshallen, wie wir sie aus der Old Economy kennen, keine Bedeutung mehr beigemessen. Im Mittelpunkt stehen die Mitarbeiter. Insbesondere im Silicon Valley gibt es eine hohe Dichte an hochqualifizierten Leuten. Trotzdem reicht die Summe dieser hochqualifizierten Leute für die vielen Firmen nicht aus. Folglich entsteht ein großer Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmen. Jeder möchte den besten Mitarbeiter anstellen. Lockmittel ist hier natürlich auch ein spannendes und reizvolles Büroumfeld.

Google hat als eines der ersten Unternehmen verstanden, wie wichtig es ist, eine andere Art und Qualität von Arbeitsumfeld zu bieten: Ganz im Sinne amerikanischer Mentalität geht es auch im Arbeitsalltag darum, seine Mitarbeiter mit Dienstleistungen zu versorgen. Genauso wichtig sind kommunikative Zonen innerhalb des Arbeitsumfeldes. Der Arbeitsplatz an sich kann etwas komprimiert werden – nicht aber auf Kosten der Ergonomie.

Wie können wir uns Ergonomie am Arbeitsplatz in der Ausgestaltung genauer vorstellen?

Im Silicon Valley wird sehr viel Wert auf einen qualitativ hochwertigen Arbeitsplatz gelegt. Gute Stühle, höhenverstellbare Tische und die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Arbeitssituationen wählen zu können, gehören hier zum Standard. Im Endeffekt hat eine Art Flächentausch stattgefunden: Im Vergleich zum typischen Einzel- oder Doppelbüro ist der Arbeitsplatz wesentlich kleiner geworden. Das gilt auch für die umliegenden Flächen. Sie werden umverteilt und so gestaltet, dass alle Mitarbeiter etwas von ihnen haben.

Und wie spiegelt sich die amerikanische Mentalität, möglichst viel Dienstleistung für seine Mitarbeiter bereitzustellen, im Silicon Valley wider?

Man versucht möglichst viel für die Mitarbeiter zu tun. Das machen die Unternehmen natürlich nicht aus bloßem Gutmenschentum. Sie versuchen ihre Mitarbeiter an sich zu binden und sie zu optimaler Leistung zu motivieren.

Die amerikanische Gesellschaft ist eine extreme Leistungsgesellschaft. Die hochkonzentrierte Stimmung ist mir im Silicon Valley überall aufgefallen. Wenn drei 25-Jährige in einem Café zusammensitzen, erzählen sie sich in Deutschland lustige Geschichten. In Amerika wird auch im Café der Laptop genutzt und über die Arbeit geredet. Diese ergänzenden Räume werden tatsächlich sehr stark genutzt, um die Arbeit zu transferieren. Darüber hinaus gibt es bestimmte Grundprinzipien, die die Firmen verfolgen, wie zum Beispiel die Bereitstellung sogenannter Micro-Kitchens. Bei Google dürfen sie z. B. nie weiter als 49 Schritte vom Arbeitsplatz entfernt sein. Das Angebot der Micro-Kitchens ist für die Mitarbeiter kostenlos. Auch auf dem Areal gibt es mehrere Restaurants und ständig werden neue eröffnet, um Abwechslung zu bieten. Auch in diesen Restaurants essen die Mitarbeiter kostenlos. Der ganze Arbeitsplatz ist serviceorientiert – Hauptsache, die Mitarbeiter sind zufrieden. Im direkten Umfeld des harten Arbeitsplatzes gibt es viele Kommunikationszonen, tolle Sporteinrichtungen oder aber die Googlebikes, auf denen radelnd Besprechungen geführt werden. Mitarbeiter, die sonst Stunden in Besprechungsräumen verbringen, auf diese Weise in Bewegung zu bringen, ist eine sinnvolle Idee. Ich kann verstehen, dass viele Menschen dort sehr gerne arbeiten. Der Arbeitsplatz hat eine wahnsinnig hohe Qualität, mit der man durchaus auch werben kann.

Wie Sie bereits angesprochen haben, findet auch bei der Lage der Bürostandorte ein Wandel statt. Gerade für die Form des Campus ist in den großen Städten gar keine Fläche vorhanden. Inwieweit hat die Immobilienwirtschaft in diesem Zusammenhang umzudenken und was bedeutet das künftig für die Stadtentwicklung?

Der Wandel birgt eine große Chance für Städte. Städte sind vor allem dann attraktiv, wenn sie nicht nur Monostrukturen aufweisen. Die aktuelle Entwicklung, die Wohnraum zurück in die Innenstadt verlagert, bedeutet im Umkehrschluss auch, dass Büronutzungen wieder an Wohnstandorte kommen. Da Bürostandorte weiterhin infrastrukturell angebunden sein müssen, werden sie auch zukünftig nicht ausschließlich auf der grünen Wiese anzutreffen sein. Der Arbeitsplatz muss weiterhin mit dem Auto oder über den öffentlichen Personennahverkehr erreichbar sein. Gute Ausgangslagen bieten ehemalige Brachflächen oder industrielle Flächen. Wir bauen z. B. in Düsseldorf im Auftrag der Aurelis Real Estate auf dem Areal des alten Güterbahnhofs Derendorf das Gebäude La Tête.

Als Hauptmieter wird hier die Verlagsgruppe Handelsblatt einziehen. Sie verlässt also die innerstädtische Lage und zieht aus dem CBD in eine neue Lage, die ein attraktiveres Umfeld für die Mitarbeiter bietet. Der neue Bürostandort liegt in unmittelbarer Nähe zu einem Park, attraktiven Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und einer S-Bahn-Station. Klammert man den Faktor Innenstadtlage aus und schaut dann, welche anderen Assets ein Standort aufweist – dann ist alles besser und sogar günstiger für die Unternehmen. In diesem Kontext stellt sich natürlich die Frage, wer künftig noch darauf angewiesen ist, Spitzenmieten in besten Lagen zu bezahlen. Solche Unternehmen wird es sicherlich auch weiterhin geben. Ich glaube nicht, dass alle Unternehmen ihre Standorte an Randlagen verlagern werden. Insbesondere nicht solche Branchen, die in Deutschland noch sehr konservativ sind, wie die der Berater oder Anwälte. Doch der Wandel wird spürbar.

Die Generation Y ist großer Fan von Vintage-Look, Industriecharme und Loft-Charakter. Da bietet die Umnutzung brachliegender Industrie- und Gewerbestandorte architektonisch ganz neue Möglichkeiten den Nerv der Zeit zu treffen, oder?

Absolut. Gerade wenn man nicht in der absoluten Spitzenmiete arbeitet, kann man die Fläche auch anders nutzen – und diese Chance sollte man auch wahrnehmen. Höhere Decken und andere Raumgestaltungen sind möglich – und schaffen neue inspirierende Räume.

Stellt die Umnutzung vom Bestand für Sie als Architekten eine besondere Herausforderung dar? Bereitet Ihnen diese Arbeit mehr Freude als der Neubau?

Diesen Vergleich möchte ich nicht machen. Die Umnutzung macht immer riesigen Spaß und sie ist ein Thema, mit dem wir uns sehr intensiv beschäftigen. Wir haben in Hamburg zusammen mit dem Büro Kunst + Herbert das alte Klöpperhaus für die Art-Invest revitalisiert, wo sich das Co-Working-Concept Mindspace großflächig angemietet hat und diese Flächen auf fantastische Art und Weise nutzt. Außerdem bauen wir derzeit mit der Aurelis Real Estate in Stuttgart an dem „Hammerwerk“, einem Projekt, das in einer Lage liegt, bei der man vor zehn Jahren noch gesagt hätte: „Sofort weiterfahren – auf gar keinen Fall machen wir da irgendwas!“Auch in Köln arbeiten wir auf dem Carlswerk  für die BEOS. Was dort in den letzten Jahren geschaffen wurde, dafür muss man sehr hohen Respekt zollen.

Und am Ende des Tages ist es natürlich schön, wenn wir als Architekten die Möglichkeit bekommen, anders und quer denken zu dürfen und andere Ansätze verfolgen können. Als Büro, das sich von Anfang an sehr stark mit dem Revitalisieren beschäftigt hat, trifft das natürlich absolut unser Thema. Insofern macht uns das natürlich doppelt und dreifach Spaß.

Inwieweit ist es eine Herausforderung, den unterschiedlichen Bedürfnissen der unterschiedlichsten Branchen in Funktion & Form architektonisch gerecht zu werden?

Wir müssen nach wie vor sehr flexibel denken. Wenn wir heute Gebäude neu planen, umplanen und revitalisieren, müssen wir immer im Hinterkopf haben, dass sich die Zeiten wandeln. Auf der anderen Seite ist es auch schön,  sich ein Haus wie das alte Klöpperhaus in Hamburg anzuschauen. Dieses Kontorhaus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts mit einer Stahl-Skelett-Konstruktion gebaut, die auch heute noch funktioniert. Das Gebäude hat jetzt rund 110 Jahre Nutzung hinter sich und funktioniert immer noch als tolles Haus. Genau das muss der Anspruch sein: Man muss ein stabiles Gerüst schaffen, das über viele Jahre nachhaltig funktioniert. Stadt sollte nicht durch Abriss und Neubau immer wieder verändert werden, sondern in ihrer Struktur so flexibel sein, dass sie zu gegebener Zeit auf wandelnde Bedürfnisse reagieren kann.

Wie kann man den Prozess der Gentrifizierung, der im Zuge von Wertsteigerung bestimmter Gebiete (auch durch attraktive Arbeitsstandorte) angestoßen wird, möglichst vermeiden?

Entschiedet man sich für ein Viertel aufgrund seines Charmes, muss man aufpassen, dass dieser Charme nicht irgendwann verschwindet. Aus dem kleinen, charmanten Lädchen im Erdgeschoss darf also kein gewöhnlicher Supermarkt werden. Das ist ein übergeordnetes Thema, das die Immobilienwirtschaft nicht alleine, sondern nur in Zusammenarbeit mit Städten, Kommunen und Anrainern lösen kann. Bestimmte Themen gilt es zu schützen und zu erhalten. Dennoch sollte man auch offen für Neues sein. In Deutschland habe ich das Gefühl, dass wir in einer Rückwärtsgestaltung leben: Wir versuchen krampfhaft, alles zu schützen, um bloß nichts Neues zuzulassen. Gewisse Dinge müssen jedoch geschehen – sonst ist Stadtwandel nicht möglich. Stadt darf sich wandeln und Stadt muss sich wandeln! Das war schon immer so.

Wie sieht denn ihr perfekter Arbeitsplatz für die Zukunft aus persönlicher Sicht aus?

Das Wichtigste ist, dass es kurze Wege und optimale Kommunikationsmöglichkeiten gibt, denn gerade in der Arbeit, die wir als Dienstleister erbringen, entstehen die größten Fehler durch schlechte Kommunikation. An dieser Stelle passt eine abschließende Lehre aus dem Silicon Valley gut: Das Silicon Valley hat uns die digitale Revolution gebracht. Steve Jobs, Erfinder des iPads, hat seinen Kindern jedoch verboten, ein iPad zu besitzen. Die Welt im Silicon Valley ist digital – das heißt aber nicht, dass dort alle Menschen ausschließlich per E-Mail kommunizieren. Der Grund des Erfolgs des Silicon Valleys ist, dass die Menschen die Nähe zueinander suchen und miteinander sprechen. Der perfekte Arbeitsplatz lässt Menschen miteinander kommunizieren.  Dann funktioniert auch alles Weitere. Digitale Unterstützung sollten wir immer als Hilfsmittel betrachten, aber nicht denken, dass sie einmal unsere Arbeit erledigen wird.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch.

Das Interview führte Marie Sammet und wurde erstveröffentlicht im polis-Magazin „WORK“, Ausgabe 03/2016 und auf polis-magazin.com


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