Der Sehnsuchtsort –
mehr als architektonische Finesse



12.09.2014

Welche Bilder entstehen vor Ihrem geistigen Auge, wenn Sie an Plätze in Städten denken? Wahrscheinlich fallen Ihnen zuerst Urlaubserinnerungen ein, zum Beispiel von der Piazza del Campo in Siena oder dem Plaça Reial in Barcelona. Entspannung, Lebensfreude und die Atmosphäre der wunderbaren Umgebung sind dann ganz lebendig und greifbar.

Längst möchten auch wir Deutschen dieses gesellige und durch die Umgebung geprägte Lebensgefühl in unserem Alltag zelebrieren. Der zentrale Bestandteil dieses Lebensgefühls ist ein ganz besonderer Sehnsuchtsort – der Platz. Er dient als große Aktionsfläche im Zentrum oder als intimer Quartiersplatz in der eigenen Nachbarschaft. Unabhängig von seiner geografischen Lage wird er schnell zum sozialen und emotionalen Zentrum einer Stadt oder eines Quartiers. Hier pulsiert das Leben, hier finden Gespräche statt, kommen Menschen zusammen.

„Gibt es Sehnsuchtsorte in deutschen Städten?“

Das Lebensgefühl ist in Deutschland längst populär, doch gibt es auch die dafür notwendigen, gelungenen Plätze? Ebenso wichtig: Was bedeutet „gelungen“ in diesem Kontext?

Meinem Verständnis nach ist ein Platz gelungen, wenn er als Ort der Begegnung, der Muße, des Feierns und des Handels angenommen und genutzt wird. Wenn sich Menschen ganz selbstverständlich auf einem Platz einfinden und diesen in ihren Alltag einbeziehen, ist das der größte Erfolg für Architekten und Stadtplaner, dann ist ein wahrer Sehnsuchtsort entstanden.

Ein solcher Sehnsuchtsort zeichnet sich durch einige Aspekte aus:

  • Eine zentrale Lage, die für hohe Frequenz sorgt. Erst durch sie kann ein Platz zum Dreh- und Angelpunkt, zu einem echten sozialen, logistischen und emotionalen Zentrum werden. Leichte Erreichbarkeit und räumliche Nähe erhöhen die Chance auf eine aktive Nutzung erheblich.
  • Stimmige Proportionen, also ein harmonisches Verhältnis zwischen Platzgröße, anliegenden Gebäuden und Menschen. Der Platz im Kölner Mediapark ist beispielsweise deutlich zu groß. Die wenigen vorhandenen Restaurants und Cafés wirken zwergenhaft, können die große Fläche nicht annähernd erobern. Auch die viel zu großen Hochhäuser machen den Platz allein durch die auftretenden Fallwinde ungemütlich und unattraktiv.
  • Die nicht gerade kleine Piazza della Signoria in Florenz wirkt dagegen regelrecht eng und voll. Genau diese chaotische Üppigkeit macht ihn – und viele andere historische Plätze – so attraktiv. Sie vermittelt den Eindruck pulsierenden Lebens und hektischer, jedoch positiver Betriebsamkeit.
  • Der Place de Vosges in Paris ist ebenfalls relativ groß und wirkt dennoch behaglich. Die Häuser sind einheitlich gestaltet, nur einige Stockwerke hoch. Das fördert den harmonischen Gesamteindruck, der Menschen zum Verweilen und Leben auf dem Platz einlädt. Hier ordnet sich die Architektur dem Platz und seinen Menschen unter, nicht umgekehrt.
  • Ein relevantes Nutzungsangebot. So selbstverständlich es klingen mag, alltägliche Nutzung muss überhaupt erst möglich sein! Ohne Geschäfte, Cafés, Spielplätze, Ämter, Büros, Theater, ein Wochenmarkt oder gar Sitzbänke, gibt es schlicht keinen Grund, sich hier aufzuhalten. Nur wenn ein Platz seinen Nutzen und seine Funktion im Alltag beweisen kann, ist er für Menschen relevant.

Neben all diesen Aspekten muss sich ein Platz im Gedächtnis einer Stadt und ihrer Bewohner verankern. Das gelingt beispielsweise durch feste Einrichtungen und sporadische Sondernutzungen wie Feste oder Märkte. Gut besucht, weil mit fast allen Nutzungsformen ausgestattet, sind unter anderem der Marktplatz und der Alleeplatz im Wilhelm-Marx-Haus in Düsseldorf.

„Städtebauliche Veränderungen: Chance für Sehnsuchtsorte“

Städtebauliche Veränderungen bieten für Städte und Plätze Chancen und Risiken gleichermaßen. Sie können trotz vieler Überlegungen, großer Namen oder aufwendiger Wettbewerbe missglücken. Der Goetheplatz in Frankfurt ist beispielsweise bewusst auf Leere und Ordnung ausgerichtet. Das Konzept ist in sich stimmig, wird von den Bürgern jedoch leider abgelehnt.

Ein gelungenes Beispiel ist dagegen der Platz vor dem Centre Georges Pompidou in Paris, der von den Menschen der Umgebung aktiv und gerne genutzt wird. Dynamisch und lebendig ist auch das Geschehen am Kö-Bogen II in Düsseldorf. Für die neu entstandene Fläche hatte eine Initiatoren-Gruppe – zu der Boris Bartels (drei marketing), Robert Goralski (red carpet event), Paul Meister (Robert´s Bistro), Jens Reich (Anteon) sowie ich selbst gehörten – einen Vorschlag eingebracht.

Die zentrale Lage und die guten Umgebungsproportionen sollten mit dem passenden Nutzungsangebot einer zweistöckigen, überdachten Markthalle ergänzt werden. Auch wenn dieser Vorschlag nun nicht realisiert wird, hat unsere Initiative doch eine breite Diskussion über die Nutzung und städtebauliche Qualität angestoßen. Damit haben wir etwas erreicht, das für alle potenziellen Sehnsuchtsorte essentiell ist: Eine aktive Beschäftigung der Menschen mit ihrem Platz.  Es bleibt spannend, wie sich der neue Jan-Wellem-Platz weiter entwickeln wird.

Wie bei allen Sehnsuchtsorten in deutschen Städten hängen Entwicklung und Chancen primär von den Menschen ab. Sie entscheiden durch ihre Nutzung und ihr Bewusstsein darüber, ob städtebauliche und architektonische Konzepte wahre Sehnsuchtsorte hervorbringen.


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