Collaborative Living

Architektur eines neuen Lebenskonzepts



30.03.2016

Die Sharing Economy brachte in den letzten Jahren die herrschende Ordnung in immer mehr Lebens- und Wirtschaftsbereichen vollständig durcheinander. Die Kernidee hinter den Konzepten von Airbnb, Uber und car2go: Zugang und Nutzung sind wichtiger als Eigentum. Lässt sich dieses Prinzip auch auf unsere Wohnkultur übertragen? Eine Frage wie diese stellt sich angesichts der Urbanisierung und des demografischen und gesellschaftlichen Wandels umso drängender, da die Städte immer größer bzw. voller werden und sich gleichzeitig die Art, wie die Menschen wohnen, verändert.

Die Herausforderungen, vor denen Städte in Zukunft stehen, sind klar: Bezahlbarer Wohnraum ist ebenso gefragt wie lebenswerte Städte mit Rückzugsorten, Grünflächen und Freiräumen. Eines der kommenden Konzepte, die darauf eine Antwort geben, sind Micro-Apartments. Ist „Collaborative Living“ ein weiterer Teil der Lösungsstrategie auf dem Weg zu lebenswerteren Städten? Wie müssen architektonische Konzepte aussehen, die sich für diese neue Idee des geteilten Wohnens eignen?

„Das Prinzip der Schnittstelle: So funktioniert die Shareconomy“

Um diese Fragen zu beantworten, ist es zunächst wichtig zu verstehen, wie die Sharing Economy funktioniert. Das Faszinierende an den neuen Sharing-Konzepten ist, dass die dahinter stehenden Unternehmen im Verhältnis zu ihrer Reichweite sehr klein sind. Bei meiner Tour durch die USA habe ich auch dem Start-up Airbnb einen Besuch in deren Headquarter abgestattet. Über Airbnb werden weltweit über 1,5 Millionen Wohnungen angeboten. Airbnb selbst zählt aber gerade einmal 600 Mitarbeiter.

Der Grund für dieses ungleiche Verhältnis zwischen Reichweite und Unternehmensgröße liegt am Prinzip, das hinter der Sharing Economy steckt. Sie beruht auf dem Prinzip der Schnittstelle. Über diese Schnittstellen in Form von Homepages oder Apps werden Wohnungen, Mitfahrgelegenheiten, Autos etc. vermittelt. Im Falle von Airbnb betreibt das Start-up lediglich die Plattform, über die sich jeder kostenlos anmelden und sein Haus, seine Wohnung oder einen Teil davon zur Vermietung anbieten kann.

Wenn es allerdings um das Wohnen geht, ist die Sache nicht ganz so einfach wie im Fall von Uber oder Airbnb. Insbesondere mir als Architekten stellen sich Fragen, die das gängige Weltbild von traditioneller Wohnarchitektur auf den Kopf stellen: Wie ist es praktisch umsetzbar, in der eigenen Wohnung keine Küche mehr zu haben? Wird dann nur ab und zu eine gemeinschaftlich nutzbare Küche verwendet? Schon diese erste Überlegung stößt in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten. Wenn bestimmte Wohnbereiche eingespart und dazu aus den eigenen vier Wänden ausgelagert werden sollen, wird der vorhandene Wohnraum nicht automatisch kleiner oder günstiger.

Sprich: Der große Teil des Bestands an Wohnungen in den Städten ist entsprechend für solche strukturellen Veränderungen der Wohnkultur nur bedingt geeignet. Meiner Überzeugung nach wird es darum in Zukunft eine steigende Nachfrage nach neuen architektonischen Entwürfen geben, die sich besser für Collaborative Living eignen. Im Zentrum wird es darum gehen, die Frage zu beantworten: Wie sehen solche architektonischen Modelle aus, die einer Sharing Economy entgegenkommen?

„Inbegriff für Mobilität: Der Container als Lebens- und Wohnraum“

Seit den 1920er Jahren gab es immer wieder Versuche, modulare Bauweisen zu erproben und dafür standardisierte Bauteile zu entwickeln, die beliebig je nach Bedarf kombiniert werden können. Das Prinzip des Teilens und temporären Nutzens ist mit so einer Vorstellung durchaus kompatibel. Einer der am erfolgreichsten standardisierten, modularen Gegenstände ist der Container.

Der Container ist eine Erfindung der globalisierten Welt, die seit dem Ausbau des Eisenbahnschienennetzes immer mehr zusammenwuchs. Der Container ist der Inbegriff für Mobilität und Globalisierung. Der internationale Frachtverkehr machte es im 20. Jahrhundert notwendig, sich auf einen standardisierten Transportbehälter zu verständigen. 1956 wurde erstmals ein solcher internationaler Standard für den Frachtverkehr auf LKWs und Schiffen festgelegt. Seit den 1970er Jahren wurden diese Frachtcontainer für temporäre Nutzungen wie Büroräume, temporäre Kliniken oder als Wohnraum genutzt. Vor allem in den USA fand diese Form des Wohnens großen Anklang.

Das Wohnen im Container hat seinen ganz eigenen Reiz. Einer der großen Vorteile, die diese Wohnform hat, ist sicher an erster Stelle der Preis. Schnell und kostengünstig lassen sich Container in Wohnraum verwandeln – beispielsweise für Studenten. Die Vorstellung aber, dass im Container nur billiger Wohnraum entstehen kann, ist falsch. Dem Luxus sind ganz im Gegenteil auch im Container keine Grenzen gesetzt.

„Collaborative Living setzt sich durch“

Die Dezentralisierung des Wohnens kommt den Gegebenheiten unserer Gesellschaft entgegen. Die demografische Entwicklung in den letzten Jahren hat mehrere Trends gezeigt. Die traditionelle Familie ist – leider – ein Auslaufmodell. Neben jungen Menschen leben immer mehr ältere Menschen allein und lassen damit die Single-Haushalte zur meistverbreiteten Wohnform werden. Patchwork-Familien und Mehrgenerationen-Haushalte liegen ebenfalls wieder im Trend.

Angesichts dieser demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung scheint es nur konsequent zu sein, dass sich das Collaborative Living als neuer Megatrend durchsetzen wird. Die Funktionen, die eine Wohnung erfüllen muss, lassen sich auf das Wesentliche reduzieren, wenn es eine entsprechende Ausweichmöglichkeit gibt, die dazu noch einen Mehrwert hat. Für ältere Menschen können Gemeinschaftsküchen und gemeinsam benutzte Esszimmer insbesondere deswegen interessant sein, weil sie zugleich als Orte der Begegnung dienen.

„Neue Gemeinschaftskonzepte am Beispiel des Wohnquartiers Le Flair“

Das „Le Flair” in Düsseldorf setzt auf ein neues Gemeinschaftskonzept. Anstatt in jeder Wohnung ein Gästezimmer einplanen zu müssen, bietet das Projekt den Bewohnern eine Gästewohnung an, die allen gleichermaßen zur Nutzung zur Verfügung steht. Des Weiteren gibt es einen Gemeinschaftsraum, der von allen Bewohnern des Quartiers für besondere Anlässe gebucht werden kann. All diese gemeinschaftlich genutzten Flächen und noch weitere Dienstleistungen werden im „Le Flair“ über einen Servicepoint, in dem tagsüber ein Ansprechpartner vor Ort ist, organisiert.

Collaborative Living ist die Renaissance des öffentlichen Raums”

Meine These ist, dass nicht nur der private Wohnraum auf das Wesentliche reduziert, sondern im gleichen Zug auch der öffentliche Raum aufgewertet werden wird. Wie schon früher die Marktplätze Orte der Begegnung und des zwanglosen Aufenthalts waren, wird es zu einer Renaissance von öffentlichen Orten kommen. Auch diese werden einen Wandel durchlaufen und sich den Wohnbereichen angleichen, die in Wohnungen der Reduzierung zum Opfer fallen.

Bars werden zu wohnzimmerähnlichen Lounges, öffentliche Bäder werden zu Wohlfühl-Spas. Restaurants werden Bereiche zur Verfügung stellen, in denen man gemeinsam mit Freunden kochen und essen kann. Schon jetzt gibt es erste Start-ups wie EatWithTravelingspoon oder ShareDnD, die private Angebote zum Mitessen vermitteln. Alternativ werden sich neue Wohn- und Baukonzepte wie Baugruppen oder Genossenschaften vermehrt durchsetzen, bei denen ein Teil der gebauten Fläche gemeinschaftlich genutzt wird. Durch solche Gemeinschaftsflächen kann jede einzelne Wohnung kostengünstiger gebaut werden. Und schließlich wird es immer mehr (mobile) Container-Wohnungen in allen Preis- und Wohnsegmenten geben, die im Bedarfsfall vollständig an einen anderen Ort transportiert werden können. In den USA sind Trailerparks, bei denen die Containerwohnungen mit einem Truck an einen anderen Ort verfrachtet werden, schon seit Jahrzehnten zur Normalität geworden.

Und doch wird es auch hier so sein: Neue Wohnformen werden sich entwickeln, was im Umkehrschluss nicht heißt, dass es die herkömmlichen Wohnformen nicht mehr weiter geben wird. Wir werden uns nur darauf einstellen müssen, dass das Angebot an Wohnen vielfältiger, spannender und einfallsreicher werden muss. Eine große Herausforderung an uns als Städteplaner und Architekten.


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